(Mai 13, 2025) Als im Februar 2025 die Nachricht vom Tod Ken Zuckermans im Alter von 72 Jahren bekannt wurde, betrauerte die indische klassische Musikszene nicht nur den Tod eines Sarod-Spielers, sondern auch den Abschied eines ihrer beliebtesten Insider. Zuckerman, der als Kind russisch-jüdischer Eltern in Amerika geboren wurde, hatte ein Erbe, das weit über Nationalitäten, Genres und Grenzen hinausreichte. Die Worte von Premierminister Narendra Modi zu Lebzeiten bringen zum Ausdruck, wie der amerikanische Solist die klassische indische Musik zu seiner Identität machte und dazu beitrug, ihre Reichweite im Ausland zu vergrößern: „Ihr Engagement für die klassische indische Musik und Ihre Bemühungen um ihre Verbreitung, ein Höhepunkt der lebendigen kulturellen Vielfalt Indiens, sind höchst lobenswert. Möge Ihre ‚Sarod‘ weiterhin Musikliebhabern auf der ganzen Welt dienen“, hatte der Premierminister einst bemerkt.
Zuckerman starb als ausgezeichneter Künstler. Im Dezember 2023 erhielt er den „Lifetime Achievement Award“ der Sangeetanjaly Foundation in Hyderabad. Seine Grammy-nominierten Alben Diaspora Sefardi und Indische Ragas und mittelalterliche Lieder bleiben eindrucksvolle Beispiele seiner grenzüberschreitenden Kunst. Doch neben den Auszeichnungen machte Ken vor allem die Art und Weise außergewöhnlich, wie er Teil der indischen Klang- und spirituellen Landschaft wurde. In schlichtem Kurta-Pyjama, leise, aber leidenschaftlich sprechend, spielte Zuckerman nicht nur die Sarod, er lebte sie.
Ein verschlungener Weg zur Musik
Ken Zuckermans Kindheit war weit entfernt von den klangvollen Klängen klassischer indischer Musik. Nach seinem Umzug aus Amerika wuchs er in Basel auf und träumte eher von Baseball als von Bhairavi. Musik war sein Hobby. Bis in seine Zwanziger sang er, bastelte Klavier und spielte Gitarre. „Ich spielte E-Gitarre, Rock’n’Roll, Akustikgitarre und komponierte viel Jazz und Folk“, erinnerte er sich in einem Interview.
Musik kam im Familienhaus nicht zu kurz, war aber alltäglich. Zuckerman erzählte gern von der Musikphilosophie seines Vaters. „Ich spiele Kassettenrekorder“, scherzte sein Vater.
Doch das Schicksal hatte andere Pläne. Mit 20 Jahren, während seines Studiums in Iowa, stolperte Ken zufällig über ein indisches klassisches Konzert mit Ustad Ali Akbar Khan und Pandit Shankar Ghosh. Eines Abends gelangweilt und ohne Interesse an Filmvorführungen, betrat er eine Vorstellung, die sein Leben verändern sollte. „Ich ahnte damals nicht“, sagte er später, „dass ich damit mein Schicksal verändern würde.“

Ken Zuckerman in seinen jüngeren Jahren
Jüngerschaft mit einer Legende
Nach dem Konzert erfuhr Zuckerman vom Ali Akbar College of Music in Kalifornien. Er besuchte es während der Frühlingsferien und schrieb sich sofort für einen sechswöchigen Sommerkurs ein. Aus anfänglicher Neugier entwickelte sich ein Schüler. Ustad Ali Akbar Khan, Sohn des legendären Baba Allauddin Khan, nahm ihn als Schüler auf. Zuckerman begann mit der Sitar, doch der Klang der Sarod begeisterte ihn mehr.
Sein Wechsel zur Sarod hatte nicht nur musikalische Gründe. Er war auch spirituell. „Ich hatte einen Traum“, sagte er, „in dem Ustad Khan mir eine Sarod reichte.“ Gleich am nächsten Tag vollzog er den Wechsel. Und so begannen 37 Jahre des Lernens unter dem Maestro.
Khan war nie leichtfertig mit Lob, doch in Zuckerman sah er großes Potenzial. In seinem achten Jahr am College wurde Zuckerman für die „Gandabandh“-Zeremonie ausgewählt, bei der der Guru dem Studenten einen heiligen Faden um das Handgelenk bindet, um die formelle Initiation und eine tiefere Beziehung zu ihm zu symbolisieren.
„Ich hatte großes Glück, dass ich Ustad Ali Akbar Khan als meinen ersten Kontakt mit klassischer indischer Musik hatte. Wen hätte ich mir als besseren Lehrer wünschen können?“, sagte er. Auch nach Khans Tod lernte Zuckerman weiterhin von Aufnahmen und übte täglich mit Ehrfurcht.

Ken Zuckerman mit seinem Ustad
Ein Amerikaner im Kurta-Pyjama, der die indische Ästhetik verkörpert
Zuckerman versuchte nie, sich auf effekthascherische Weise zu „indizieren“, sondern verinnerlichte indische Werte und ästhetische Feinheiten tief. Oft in schlichtem Kurta-Pyjama gekleidet, verkörperte er das ruhige, geduldige Temperament, das in klassischen Kreisen so geschätzt wurde. „Die Lebenseinstellung des durchschnittlichen Inders“, sagte er einmal, „ist geduldig, philosophisch, entgegenkommend und voller Toleranz.“
Für Zuckerman war indische Musik nicht nur eine Klangkunst. Sie war ein Lebensstil.
Musik ermutigt einen, in die Welt der Schwingungen einzutauchen, in der es keine Rolle spielt, ob man einen hinduistischen Gesang oder ein muslimisches Gebet spricht. Sie ist eine Stufe darüber hinaus, eine spirituelle Erfahrung.
Ken Zuckerman
Der steinige Weg zur Akzeptanz
Zuckermans Weg zur Anerkennung verlief nicht reibungslos. „Bis vor fünf oder sechs Jahren“, sagte er 1992, „stand ich zu Hause gegen eine Wand, obwohl ich 15 Jahre lang studiert und hier gute Noten bekommen hatte.“
Viele in Europa und Amerika betrachteten indische Musik als etwas Heiliges, das für Außenstehende unantastbar war. „Westler, die indische Musik verstehen, sehen, dass ich sie richtig gelernt habe“, erklärte er. „Wer mir mit Vorbehalt zuhört, denkt, indische Musik müsse von einem Inder gespielt werden.“
Um Authentizität zu erlangen, rieten ihm Zakir Hussain und Swapan Chaudhuri, sich zunächst in Indien Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Und das tat er. Durch Auftritte an der Seite seines Gurus und mit Meistern wie Zakir überzeugte Zuckerman nach und nach Skeptiker. „Wenn Khansahib, Zakir oder Swapan mit mir auftraten, begannen die Impresarios zu glauben, ich müsse ein gewisses Ansehen haben.“
Basel, eine neue Heimat für die Sarod
1985 gründete Ustad Khan das Ali Akbar College of Music in Basel und übertrug Zuckerman die Leitung. Die gemeinnützige Einrichtung lebt von der Unterstützung europäischer und amerikanischer Förderer und bleibt Khans ursprünglichem kalifornischen Lehrplan treu. Zuckerman, der auch an der Musik-Akademie Basel lehrte, brachte die Sarod einem europäischen Publikum mit Authentizität und Anmut näher.
Seine Lehrmethode ähnelte der seines Gurus. „Die Unterrichtsmethodik war sehr direkt“, erklärte er. „Khansahib leitete die Klasse beim Singen an, und wir wurden ermutigt, zuerst mitzusingen und die Melodie später mit unseren Instrumenten nachzuspielen.“
Er verstand die Herausforderungen, denen sich westliche Studenten gegenübersahen, wenn sie notierte Musik aufgeben und nach Gehör lernen wollten. „Das ist eine Ausbildung an sich“, sagte er oft und betonte, dass indische Musik eine völlig andere Art des Zuhörens erfordert.
Die Ästhetik der Zurückhaltung
In einer Zeit, in der Geschwindigkeit und Virtuosität die klassische Aufführung dominieren, ragte Zuckerman heraus. „Ich neige dazu, den lyrischen Ansatz zu verfolgen“, erklärte er. „Die Stimmung eines Ragas ist die Essenz indischer Musik. Wenn die grundlegende Melodielinie skizzenhaft ist, tayyari oder das Streben nach Geschwindigkeit wird nicht den gewünschten Effekt erzielen.“
In Kalkutta lachten ihn einige junge Sarod-Spieler aus, weil er nicht schnell spielte. „Da ich außerhalb Indiens gelernt habe“, sinnierte er, „habe ich Glück, dass ich diesem Teufelskreis entkommen bin.“ Er wollte nicht beeindrucken, er wollte sich ausdrücken.

Ken Zuckerman
Guru-shishya, auf und neben der Bühne
Eine von Zuckermans größten Ehren war der Auftritt mit seinem Guru. „Ich betrachte den Auftritt mit ihm als eine Erweiterung meines Lernprozesses auf eine höhere Ebene“, sagte er. Mit Ustad Khan zu spielen, war nicht nur eine gemeinsame Bühne, sondern eine Fortsetzung des Unterrichts, erhoben in die Öffentlichkeit.
Von Khans Originalkompositionen wie Chandranandan und Gauri ManjariZuckerman war zutiefst dankbar. "Chandranandan ist sein ganz eigener Raga. Es ist eine künstlerische Leistung, ein Kunstwerk, wie wir auf Deutsch sagen."
Er experimentierte sogar mit Jugalbandis und trat insbesondere zusammen mit dem amerikanischen Sitaristen James Pomerantz auf. Zuckerman tendierte jedoch immer mehr zum intimen Dialog zwischen Sarod und Tabla.
Ein Geschmack für Indien, der über die Musik hinausgeht
Zuckermans Liebe zu Indien beschränkte sich nicht nur auf Ragas und Rhythmen. Sie erstreckte sich auf das Alltägliche, das Greifbare, das Geschmackvolle. Einmal kicherte er in einem Interview darüber, wie leicht ihm indisches Essen gefiel. „Ich liebe das Essen“, sagte er mit der Begeisterung eines Mannes, der nicht nur Sarod spielen, sondern auch Dal, Sabzi und Biryani genießen konnte. Diese Liebe war nicht nur spielerisch, sie kam von Herzen. Ob beim gemütlichen Essen nach einem Konzert oder beim Essen am Straßenrand. dhaba Während seiner Indienreisen erfreute er sich an der kulinarischen Vielfalt Indiens.
Seine Vorliebe für die indische Küche wurde zum Symbol einer breiteren kulturellen Zuneigung. Er betrachtete Indien nie als „fremd“, sondern als Heimat. „Was mich an meinem ustab Khansahib anzog“, erinnerte er sich, „war sein Wesen, seine Art zu sprechen, seine Lebenseinstellung. Alles ist harmonisch.“ Zu dieser Harmonie gehörten für Ken Musik, Spiritualität und ja, auch Essen.

Ken Zuckerman
Ein Leben des Lehrens und Lernens
Zuckerman war sowohl Lehrer als auch Künstler. An der Basler Akademie hielt er Vorlesungen, Workshops und Vorführungen an öffentlichen Schulen. Manche Schüler kamen für eine Einführung, andere zum Eintauchen. „Wer regelmäßig zuhört, kann jetzt während eines Konzerts Tala halten“, sagte er mit stillem Stolz.
Dennoch war er realistisch, was die Chancen betraf. „Nur wenige sind so tollkühn wie ich, alles andere aufzugeben und es ohne jegliche Zukunftssicherheit zu versuchen“, lachte er.
Ken Zuckermans Tod Anfang 2025 markierte das Ende einer bemerkenswerten Reise, die in Amerika begann, in Indien reifte und über Kontinente hinweg erblühte. Seine Geschichte erinnert an die Kraft der Musik, Grenzen und Glaubensrichtungen zu überwinden. Er spielte nicht nur Sarod. Er wurde eins mit ihr. In einer Welt, die oft durch Nationalität und Identität gespalten ist, verkörperte Ken Zuckerman eine seltene Synthese aus Ost und West, Schüler und Meister, Außenseiter und Insider.
Ein Journalist beschrieb ihn einmal nach einem Interview: "Dieser sanfte Amerikaner ist ein geeigneter kultureller Abgesandter, um die Welt mit seiner Musik zu erobern, ein Fremder, der hier ist, um die angeborene Süße der Sarod mit seiner völlig entwaffnenden Indianität nach Hause zu bringen" In diesen wenigen Worten liegt die Essenz des Sarod-Spielers, dessen Musik sowohl die Seele Indiens als auch die Wärme der Menschheit in sich trug.
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